Unersetzbar: Über die Kunst, Mensch zu bleiben
Ein Essay über Schöpfung, Erinnerung und das, was Maschinen nicht berühren können
Vielleicht ist es das, was mich letztlich wieder zur Kunst zurückgeführt hat: das tiefe, stille Verlangen nach mehr Menschlichkeit. Nach Präsenz. Nach Berührung. Nach einem kreativen Ausdruck, der nicht perfekt, aber lebendig sein muss. Eine Kreativität, die nicht aus Datensätzen oder Einsern und Nullen besteht, sondern aus Haut, Herz und inneren Zwischenräumen.
Vielleicht habe ich mich der Kunst zugewandt, weil ich ab einem gewissen Punkt in meinem Leben nicht anders konnte. Weil die Wechseljahre eine Frau wirklich „wechseln“, sie wandeln. Weil ich spürte, dass meine Kunst gebraucht wird – nicht im funktionalen Sinn, sondern als Zeichen. Als Haltung und als Erinnerung.
In einer Welt, in der wir alles messbar machen und optimieren, bis der Notarzt kommt, wollte ich etwas schaffen, das aus diesem Schema ausbricht. Etwas, das bleibt, auch wenn ich längst nicht mehr da bin.
Pinselstriche. Farben. Wörter. Gedanken. Eine Ahnung. Ein Fragment von Menschlichkeit.
Ich sehe, wozu künstliche Intelligenz heute fähig ist. Sie kann Texte schreiben, Bilder generieren, Stimmen synthetisieren, Avatare erschaffen und ganze Models ersetzen. Ich arbeite selbst mit diversen KI-Tools und bin natürlich beeindruckt von der Geschwindigkeit, der Präzision und dem Potenzial.
Aber ich weiß auch: Egal wie fortgeschritten Maschinen sind, sie bleiben eben Maschinen. Sie kennen keinen Schmerz. Keine Herkunft. Kein Aufwachsen in zwei Kulturen. Kein erstes Mal. Kein letzter Blick. Keine unerwiderte Liebe.
Sie wissen nicht in wie viele Teile mein menschliches Herz gebrochen ist, als ich vor einem Jahr dem letzten Atem meines Katers Chino lauschte, kurz nach 14 Uhr am 2. Juli, weil ich ihn gehen lassen musste.
Und wie das gleiche Herz fast meine Brust sprengen wollte, jedes Mal, wenn ich mich verliebte. Maschinen haben auch keine Hände, die zittern, wenn sie ein Mikrofon halten und vor Publikum sprechen oder singen müssen. Sie empfinden keine Trauer, die sich in Farbe verwandelt. Kein Zweifel, der zum Motiv wird.
Was KI erschafft, kann schön sein. Aber es ist nicht gelebt. Und darum auch nie wirklich nachvollziehbar oder durchlässig.
Wir leben in einem System, das alles zu einem Mittel macht. Von Schönheit bis hin zu Spiritualität und Achtsamkeit. Alles kann heute skaliert, optimiert und vermarktet werden – sogar das, was ursprünglich nur Menschen ausmachen konnte.
Echte Kunst ist jedoch kein Produkt. Sie ist vielmehr ein Gefühl. Sie ist auch ein Ort, an dem wir uns selbst begegnen dürfen, ohne Ziel, und an dem Raum bleibt für das, was nicht effizient ist: Für Zartheit. Für Schmerz. Für Bedeutung. Für Empathie.
In einer Zeit, in der alles verfügbar scheint, erinnert uns die Kunst oft an das Unverfügbare
An das, was sich nicht in Zahlen fassen lässt – und eben auch an das, was uns menschlich macht.
Unser Beitrag als Künstler:innen kann leise oder laut, abstrakt oder realistisch sein. Eines sollte er dabei jedoch immer bleiben: tief, menschlich und authentisch. Mit unseren Büchern, Bildern, unserer Musik, unseren Skulpturen, Artikeln und Kursen erzählen wir nicht, was ist, sondern das, was fehlt. Wir machen das Unsichtbare sichtbar. Wir spiegeln das Ungesagte. Wir laden zur Pause ein und verlangsamen den Blick.
Vielleicht ist das bereits eine Form des Widerstands: gegen all das, was immer schneller, größer und glatter werden will.
Vielleicht wird meine Kunst einmal vergessen werden. Aber vielleicht bringt sie auch irgendwann, irgendwo, in einem Menschen, der mich persönlich nie kennengelernt hat, etwas zum Klingen.
Das Bild, das seit Jahrzehnten in Opas Wohnzimmer hing, ist ein Echo, eine Erinnerung oder eine leise Berührung. Und vielleicht ist das für genau diesen Menschen in der Zukunft das größte Geschenk.
Letztens habe ich auf LinkedIn einige Beiträge gesehen, in denen es um ein KI-Tool ging, das Werbevideos für Social Media mit künstlichen Avataren generiert – angeblich als „User Generated Content“. Also Inhalte, die wie echte Nutzer:innen wirken sollen, aber keine sind.
Also wieder einmal: Simulation statt Erfahrung und Effizienz statt Authentizität. Marketingmenschen feiern das.
Niemand scheint zu fragen: Wozu das alles? Wo bleibt der Mensch?
Und dann sprechen wir über Ethik im Marketing, über achtsame und gewaltfreie Kommunikation. Wir schreiben Bücher und Artikel darüber, starten Aufrufe.
Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass all das zu spät kommt. Wir haben die Ethik längst über Bord geworfen – freiwillig. Aus Bequemlichkeit und Profitgier. Aus Angst, im „Höher-schneller-weiter“-Karussell und im Wettstreit um das beste KI-Wissen nicht mithalten zu können.
Wir haben noch nicht alles gesehen, was auf uns zurollt, denn die technologische KI-Revolution steht noch am Anfang. Doch schon jetzt spüren viele von uns, wie der Kontakt zu uns selbst brüchiger wird.
Wie alles zwar schneller und vermeintlich effizienter, aber unmenschlicher wird. Wir können alles messen und haben dabei vergessen, wie es ist, zu fühlen. Sich auf die menschliche Intuition zu verlassen.
Und genau hier stellt sich die Frage: Was jetzt?
Was können wir tun – als Einzelne, als Gesellschaft, als Kunstschaffende?
Der sogenannte AI-Act der Europäischen Union ist ein erster Schritt, um den Einsatz künstlicher Intelligenz zu regulieren. Er ist ein spätes, symbolisches Zeichen dafür, dass wir als Gemeinschaft Verantwortung übernehmen wollen. Doch die Realität entwickelt sich schneller als politische Absprachen. Während Verordnungen formuliert werden, feiert die Wirtschaft bereits das nächste KI-basierte Effizienztool.
Und wir? Wir stehen dazwischen, oft sprachlos und manchmal erschöpft, und ziehen am Ende mit. Deshalb braucht es mehr als technische Regulierung. Es braucht ein anderes Denken. Und vielleicht auch ein anderes System.
Ein System, das nicht länger auf unendlichem Wachstum, Skalierbarkeit und ständiger Beschleunigung basiert. Ein System, das Menschlichkeit nicht als Störfaktor, sondern als Grundlage sieht.
Vielleicht hat der Kapitalismus in seiner jetzigen Form einfach ausgedient
Vielleicht ist es an der Zeit, Modelle wie die Postwachstumsökonomie nicht nur in Nischen zu diskutieren, sondern ernsthaft als Zukunftsentwurf zu prüfen.
Natürlich können wir nicht über Nacht alles ändern. Aber wir können beginnen: mit dem, was wir sehen. Mit dem, was wir hinterfragen. Mit dem, was wir wählen.
Indem wir nicht jedes neue Tool sofort nutzen, nur weil es da ist.
Indem wir langsamer arbeiten und das nicht als Mangel, sondern als Qualität und gesunden, menschlichen Rhythmus begreifen.
Indem wir uns fragen: Dient das, was ich tue, wirklich dem Leben oder nur einem System?
Und ja, wir sind alle Teil dieses Systems. Aber genau deshalb können wir es auch beeinflussen. Mit jeder Kaufentscheidung und jeder Zusammenarbeit. Wir können aufhören, nur an unser eigenes Überleben im System zu denken, und anfangen, über das Weiterbestehen des Systems selbst zu reflektieren.
Es braucht weniger neue automatisierte oder KI-basierte Funktionen und mehr kollektive und persönliche Verantwortung. Mehr Mut zum Nein. Vielleicht ist das die wahre Herausforderung dieser Zeit:
Es geht nicht darum, KI perfekt zu integrieren, sondern Menschlichkeit bewusst zu bewahren
Und das nicht als Marketingbotschaft, sondern als politische, kreative und ethische Praxis.
Wir, die wir malen, schreiben und formen, halten Räume offen, in denen die Seele sprechen darf. Wir erinnern daran, dass der Mensch kein Produkt, sondern ein Lebewesen mit einer Seele ist. Dass nicht alles effizient, skalierbar und funktional sein muss. Dass Schönheit, Tiefe, Stille und Empathie ebenso Teil dieses Lebens sind wie Fortschritt, Struktur und Wachstum.
Ich glaube nicht, dass wir als Künstler:innen ersetzt werden können. Denn das, was wir geben, ist nicht reproduzierbar.
Es geht nicht um das finale Produkt der Kreativität, nicht um den Stil oder die Technik, die eine KI uns – rein optisch – nachmachen kann. Es geht um die Transformation und die Erfahrung dahinter.
Die Verwandlung von Erlebtem in Ausdruck. Von Schmerz in Form. Von Stille in Farbe. Unsere Werke sind mehr als nur dekorative Gegenstände. Sie sind Zeugnisse, die sagen: Hier war jemand. Hier hat jemand empfunden. Hier hat jemand gesehen. Und sich die Mühe gemacht, das Unsichtbare sichtbar zu machen.
Ich denke, dass wir sie heute mehr denn je brauchen: Menschen, die sich berühren lassen und durch ihre Kunst andere berühren. Nicht, um zu gefallen, zu glänzen oder zu verkaufen – denn auch das ist notwendig, menschlich und definitiv Teil davon –, sondern, um uns an das zu erinnern, was wir sonst verlieren würden: uns selbst.