“Still Matters”: Warum Stille zählt (und was bleibt, wenn wir wirklich hinsehen)
Eine künstlerische Reflexion über Lärm, Langsamkeit und die Schönheit des Unvollkommenen.
Ich spüre den Lärm der Welt nicht nur im Kopf, sondern oft auch körperlich: als Druck, als Beschleunigung, als ständiges Ziehen an meiner Aufmerksamkeit. Genau aus diesem Gefühl heraus ist meine letzte Serie „Still Matters“ entstanden – aus dem Bedürfnis heraus, einen Raum zu öffnen, in dem Stille sichtbar wird. In dem sie Gewicht bekommt. Und in dem sie daran erinnert, dass manche Dinge trotz allem, was gerade vermeintlich wichtiger erscheint, zählen.
„Still Matters“ ist eine Serie aus neun Werken, die auf einem Gedicht* basieren, das mir auf Englisch in den Sinn kam. Ich bin mit zwei Sprachen aufgewachsen, Griechisch und Deutsch, Englisch kam schnell dazu. Manche Texte wollen sich auf Deutsch, andere eben auf Englisch schreiben. Wie dem auch sei, das Gedicht „Still Matters“ umfasst neun Zeilen. Neun Zeilen, aus denen neun Bilder wurden. Es sind neun visuelle Schwellenräume zwischen Lärm und Resonanz, wie der Abdruck eines inneren Zustands, einer Haltung, eines Moments zwischen zwei Atemzügen.
Doch bevor ich erzähle, wie genau die Bilder entstanden sind: Diese Serie ist auch ein Kommentar zu unserer Zeit. Zu einer Gesellschaft, die Beschleunigung für Normalität hält. Und zu einer Kreativwelt, die alles messbar machen will, sogar die Stille.
Was bleibt, wenn wir die Lautstärke herunterdrehen?
Unsere Zeit hält selten inne. Eine Zeit, in der Bildschirme flimmern, Social-Media-Feeds endlos weiterlaufen und alles schneller geht, als ein menschliches Nervensystem eigentlich verarbeiten kann.
„Still Matters“ ist meine Antwort darauf. Kein Rückzug, sondern eine bewusste Gegenbewegung. Die Serie stellt Fragen, die sich nicht algorithmisch beantworten lassen:
Was bleibt, wenn wir langsamer werden?
Was zählt, wenn alles um uns herum automatisiert wird?
Wie finden wir Resonanz in einer von KI überfüllten Welt, in uns selbst, miteinander, in der Kunst?
Für mich ist Stille kein leerer, sondern ein gefüllter Raum. Ein Raum voller Geschichte, Entscheidungen und Verletzlichkeit. Stille ist ein Ort, an dem wir uns selbst wieder hören. Und vielleicht auch das, was die Welt uns sagen möchte, wenn wir ihr endlich zuhören.
Neun Werke als Räume des Innehaltens
Jedes Werk dieser Serie basiert auf einer einzigen Gedichtzeile. Manche Bilder sind dicht und vielschichtig, andere sind weit, offen und fast durchscheinend. Doch sie alle tragen dieselbe Frage in sich: Wie sieht Stille aus, wenn man sie nicht romantisiert, sondern ernst nimmt?
Einige Bilder wirken wie flirrende Bildschirme, unter denen sich eine zweite Ebene öffnet: eine zarte, ruhige Schicht, die zu atmen scheint. Andere sind reduzierte Felder, beinahe leer, in deren Nähe sich jedoch eine Fülle kleiner Details verbirgt: Falten im Gewebe, Pigmentspuren, Stickerei-Stiche und Collagefragmente, die nur sichtbar werden, wenn man sich wirklich Zeit nimmt.
Diese Werke verlangen nicht nur Aufmerksamkeit, sie geben sie auch zurück. Sie laden ein, anders zu schauen. Nicht suchend, nicht messend. Sondern offen, empfänglich.
Kunst, die nicht versteckt, sondern offenlegt
Mich interessiert bei meiner Malerei nicht die glatte Oberfläche, sondern das, was darunter liegt: die Spuren, die Geschichten, die Brüche, das Unbequeme und das Gelebte. Deshalb war es für mich selbstverständlich, für „Still Matters“ zum ersten Mal ausschließlich auf roher Leinwand zu arbeiten. Eine Leinwand, die atmet, antwortet, Widerstand leistet und sich im Prozess verändert.
Ich begreife diese Leinwand wie eine zweite Haut: offen, verletzlich, aufnehmend, reaktionsfreudig.
Die daraus entstandene Technik nenne ich Skinfield Painting. Sie entsteht am Boden im Dialog mit Wasser, Schwerkraft, Verdünnung und Materialspannung. Jede Schicht reagiert. Nichts bleibt unter Kontrolle, aber nichts geschieht zufällig. Die Leinwand wirft Falten, Pigmente versickern, Linien brechen – und alles wird Teil der Sprache.
Für „Still Matters” habe ich zusätzlich damit begonnen, eigene Farben herzustellen, indem ich Pigmente mit Wasser und Binder anmische. Jede Nuance entsteht nur ein einziges Mal. Auch die Collagepapiere entstehen von Hand: Seiden-, China- und Aquarellpapiere, die ich vorbemale, zerreiße und wieder zusammensetze. Ein Prozess, der Stille erfordert. Und Hingabe.
Ein ästhetischer Gegenentwurf zur Optimierungskultur
Die „Still Matters“-Werke sind keine Deko-Objekte. Sie sind ein Statement. Vielleicht sogar ein Akt des Widerstands.
Jede Falte im Gewebe widerspricht der Glättungskultur.
Jede Pigmentspur widerspricht der digitalen Perfektion.
Jede sichtbare Naht widerspricht der Illusion, Fehler müssten unsichtbar gemacht werden.
Diese Werke bestehen darauf, dass Menschlichkeit sichtbar bleiben darf. Sie bestehen darauf, dass Fragilität Stärke sein kann. Aber auch, dass Nicht-Produktivität kein Mangel, sondern ein anderer Takt des Lebens ist.
Als ich die Serie entwickelte, wurde mir klar, wie sehr mich in der Vergangenheit der Druck zur ständigen Erreichbarkeit, Reaktion und Optimierung geprägt hatte. Viele Jahre lang habe ich im digitalen Marketing gearbeitet – eine Welt, in der alles schneller und lauter wird und in der für Kunst kaum Platz ist. Mit meiner Rückkehr zur Malerei fand ich auch zu mir selbst zurück: ein Raum ohne Algorithmen, ohne Bewertungen, ohne Hustle.
„Still Matters“ als Einladung
Die Serie war im Oktober 2025 erstmals auf der ARTMUC zu sehen. Einige Besucher*innen blieben minutenlang vor einzelnen Werken stehen, andere waren von der Serie als Ganzes bewegt. Genau das liebe ich an dieser Reihe: Sie funktioniert sowohl einzeln als auch als poetisches Ensemble.
Die Werke sind nicht laut, aber beharrlich. Sie drängen sich nicht auf, aber sie bleiben. Sie erzählen nicht, was man fühlen soll, sondern öffnen einen Raum, in dem etwas in uns aufatmen kann. Vielleicht brauchen wir genau das heute mehr denn je: einen Moment, in dem die Welt langsamer wird. Einen Moment, in dem Stille zählt. Einen Moment, der bleibt.
*Still Matters
Between the noise, I listened.
So I turned off the feed to feel again,
and fragility became my strength.
This is not a productivity report,
because roses don’t rush to bloom.
I’m still here, even when unseen.
You see, handmade truths carry warmth;
and when I make mistakes,
that’s how I know I’m real.
And still – all this matters.